Freitag, 15. November 2013

Frosch: Schlusswort

Ich bin ein Frosch an einer Party. Es ist As Party. Es ist mehr ein Kinderfest als eine Party. Billigbier und Rotwein. Um mich herum sind Kinder. A. A. Q. T. U. P. F. H. Ich weiss nicht, was sie alle hier wollen. Irgendjemand soll Geburtstag haben. Ein Mädchen mit langem braunem Haar und überschminkten Smokeyeyes. A. Sie sieht nicht besonders glücklich aus. Alle anderen auch nicht. Sie sitzen im Wohnzimmer von As Haus im Kreis, in weichen schwarzen Sesseln, auf dem kalten Holzboden gegen die Wand gelehnt, auf Lederstühlen. Sie halten Gläser in ihren Händen oder auf den Knien abgestellt und malen mit den Handrücken Figuren in die Luft, während sie sprechen. Ein blondes Mädchen – F – sagt, sie hätte mit einem Typen geschlafen. Die anderen lachen spöttisch und machen ein paar Witze über F. F beginnt zu weinen. Ihre Schminke verschmiert ein bisschen. H und P gehen auf den Balkon rauchen, mit fahrigen Gesten suchen sie nach ihren Zigaretten und lachen laut, als sie sie anzünden. Durch den Spalt zwischen Tür und Türrahmen quillt etwas Rauch ins Zimmer. Zwei Mädchen gehen in die Küche, Tee machen. Sie haben rotes Haar. Natürlich und gefärbt. Die restlichen Kinder bleiben, zwei dunkelgekleidete Jungen fragen F, warum sie das gemacht habe, bei ihrem Ersten Mal. F meint, da ist doch nichts dabei, und er hat mich umarmt, danach. Der Junge mit dem kürzeren Haar – Q – beginnt zu fluchen. Der andere schweigt und kratzt sich mit den Fingernägeln über den Unterarm. Er hinterlässt rote Striche. Die Jungen vom Balkon kommen zurück. Sie riechen nach kaltem Rauch. Die Mädchen aus der Küche balancieren Teetassen in ihren Händen. Sie riechen nach Grüntee und nach Pfefferminz. Man will ein Trinkspiel spielen. Man spielt Ich-hab-noch-nie. A versucht, ihr langes Haar mit einem Bleistift zusammenzubinden. Q und T stehen auf und sagen, sie hätten keine Lust mehr auf Trinkspiele. Die Stimmung im Raum verändert sich, ausgehend von dem Mädchen mit dem rotgefärbten Haar. Sie wird etwas laut und sagt, sie würden sich benehmen, als seien sie sechzig und seit zehn Jahren blind und impotent. Das finden H und P lustig. Sie kichern hinter ihren mit Rotwein gefüllten Gläsern. Q sagt, werdet doch erwachsen. Er sagt es niemand bestimmtem, einfach so, in den Raum hinein. Er und T gehen. A und F sagen, dass sie auch keine Trinkspiele mehr spielen wollen. U versucht, ein Geräusch zu machen, als wäre sie eine Katze beim Erbrechen, aber es klingt nicht danach. Es klingt nach einem Katzenjungen, das sich noch in der ersten Nacht in den Vorgärten der Nachbarn verläuft und den Weg zurück nicht mehr findet.
A sagt, er würde auch nach Hause gehen. Er zieht seine Lederjacke an. Er sieht aus wie ein Schläger. F kommt mit ihm mit. Ich gehe auch mit. Sie passen nicht zueinander, als sie nebeneinander zur Bushaltestelle gehen. Er geht auf der Strasse, sie auf dem Bürgersteig. Ihr blondes Haar wippt auf und ab. Er erzählt ihr vom Fluss. Widerlich braun nennt er ihn und sagt, dass sie alle nur Widerliches gemacht hätten letzte Nacht. Als wolle er sie trösten. Er ist gut darin. Sie lächelt ein bisschen und fragt ihn, ob man sich weiterhin so treffen würde, in kalten Wohnzimmern und unter schimmligen Sonnenschirmen, und so tun, als ob man sich mögen würde. Er sagt, er hoffe es nicht. Ich hoffe es auch nicht. Ihr Bus kommt. Sie umarmen sich zum Abschied. Nicht fest. Nur ein wenig. Flüchtig streicht er mit seiner Hand über ihren Rücken. Er sieht zu, wie sie einsteigt und der Bus davonfährt und geht dann auch. Ich gehe zurück an die Party. A, H, U und P sind noch da. Sie spielen Trinkspiele. U, H und P lachen zehn Dezibel zu laut und tauschen Geschichten aus, die niemand hören will. A hat ihre Bierflasche heimlich mit Wasser gefüllt. Ich bin ein Frosch an einer Party. Die Party stirbt. Ich sterbe mit ihr. Sie haben mir Zigaretten zum Rauchen gegeben, und jetzt treibe ich mit dem aufgequollenen Bauch nach oben im Wasser und warte darauf, dass ich endlich untergehe.

Donnerstag, 14. November 2013

Fee: Muster auf Unterhosen

Abends sitze ich wieder im Bus, und ich trage frisches Make-Up und frische Unterwäsche. Ich habe heute die angezogen, die zuunterst in der Schublade lag, Unterhosen mit Blumenmuster in allen Farben, ziemlich kindisch, ich weiss nicht, warum ich die noch habe. Zuhause habe ich nur geschlafen und auf mein Handy gestarrt und auf mein Klavier, das so stumm ist, weil ich meine Finger nicht bewegen mag. Irgendwann hat Una mir dann geschrieben: 'Aila hat Geburtstag, kommst du auch?'

Ich steige aus und trete auf die saubere Quartierstrasse. Hallo meine Freunde, werde ich sagen, wenn ich bei Aila bin, und mich zu ihnen setzen, weil sie alle schon da sein werden, weil ich zu spät bin. Wir werden den Wein trinken, den ich am Kiosk vorher noch gekauft habe, Rosen sind auf der Etikette, er passt zu Aila, denke ich. So im Wohnzimmer sitzen und Wein trinken und über alles reden; dafür sind sie doch da, die Freunde, so habe ich das überall gesehen. Manchmal habe ich das Gefühl wir haben uns gar nichts zu sagen, und trotzdem treffen wir uns jeden Tag, sitzen fast jeden Tag im Park oder unter dem feuchtschimmligen Sonnenschirm bei Una zu Hause und trinken viel Bier, sodass wir uns irgendwann dann doch etwas zu sagen haben. Und am Ende, wenn die Busse am Bahnhof gegenüber weniger werden und der Mitternachtskiosk schliesst und die Fledermäuse unter dem gelborange gestreiften Kioskvordach hochflattern, sagen wir, es sei ein guter Abend gewesen, und gehen jeder seinen Weg nach Hause. Begleiten tun wir nie jemanden, auch wenn der Weg zum Bahnhof nur fünf Minuten länger wäre, wenn ich einen Teil davon mit Häschen gehen würde, der immer zu seiner Grossmutter schlafen geht. Aber das hat nie jemand vorgeschlagen, also hat es auch nie jemand getan.

Tonna: Gespräche mit Quentin


Ich putze mir gerade die Zähne, als es an der Tür klingelt. Ich höre mit den Bürstbewegungen auf und lausche, ob jemand aus meiner Familie zur Tür geht, um sie zu öffnen, aber es bleibt still, also spucke ich die Zahnpastasosse, die weiss ist mit kleinen hellblauen Pünktchen darin, in das Waschbecken, gebe die Zahnbürste von einer Hand in die andere, weiss nicht, wohin mit ihr, stecke sie der Einfachheit halber und auch, weil sie dort irgendwie hingehört, wieder zwischen meine Zähne und laufe zur Tür. Quentin sieht besser aus als gestern. Er hat sich die Haare gewaschen und frische Kleider angezogen, obwohl ich das eigentlich nicht sicher wissen kann, weil seine Haare trocken sind und er immer dieselbe Kleidung trägt, dunkle Jeans, dünner dunkler Pullover, schwarze Jacke darüber. 'Hallo Quentin', sage ich und nehme die Zahnbürste aus meinem Mund. 'Gut ausgenüchtert?'
'Bestens. Ist der Papagei nicht mehr hier?' 'Nein. Der ist schon seit Stunden fort.' 'Ah.' Quentin wippt ein wenig auf seinen Schuhsohlen vor und zurück. Er trägt seltsame Schuhe aus Leder, die irgendwie modisch aussehen und vorne spitz zulaufen und so gar nicht zu ihm passen wollen.
'Kommst du mit?', fragt er, als er genug gewippt hat.
'Wohin denn?' 'Zu Aila nach Hause. Hat dir Una keine SMS geschrieben?' 'Mein Handy ist aus.' 'Ach so. Aila hat Geburtstag. Anscheinend. Hat sie gesagt. Geschrieben. Wir sollen zu ihr. Kommst du mit?'
Wir gehen zu Fuss, Aila wohnt nicht weit von mir, zwanzig Minuten vielleicht, fünfundzwanzig, wenn ich mit Quentin gehe. Er läuft immer so langsam, als hätte er etwas hinter sich liegen lassen und könnte sich nicht entscheiden, ob er umdrehen und es holen soll oder nicht. Er schweigt ein bisschen, als wir nebeneinander herlaufen, und ich frage mich plötzlich, an wie viel von gestern Nacht er sich erinnert, und ob ich noch wütend auf ihn bin. Weil er mich mit dem Papagei im Stich gelassen hat und auch, weil er manchmal einfach ein Arschloch ist. Aber mich vor dem Papagei zu beschützen ist eigentlich nicht seine Aufgabe. Überhaupt bin ich nicht seine Aufgabe. Seine einzige Aufgabe, vor allem an einer Party, ist es, Spass zu haben. Aber das hat er, glaube ich, auch nicht allzu gut hingekriegt. Quentin bleibt stehen, zieht mit den Lippen eine Zigarette aus der Packung und zündet sie sich mit einem altrosa Feuerzeug an. Er nimmt den Rauch in den Mund und bläst ihn über seine rechte Schulter fort, damit ich ihn nicht atmen muss, aber das ist so etwas, das können auch nur Raucher glauben, dass das funktioniert, wenn sie den Rauch einfach fortblasen, ich rieche ihn natürlich trotzdem. Seine Zigaretten riechen besser als die vom Papagei. Quentin raucht und geht neben mir her und schweigt und sieht mich ab und zu an und scheint zu warten, dass ich etwas sage. Dass nicht er mit dem Plaudern beginnt, ist ein wenig seltsam, aber vielleicht ist ihm ja doch aufgefallen, dass er gestern nicht allzu feinfühlig war. Gestern war ich wütend auf ihn. Aber Gestern ist vorbei, und der Gedanke daran ist wie der Gedanke an eine matte Milchglasscheibe, ich finde nicht viel, zu dem ich Emotionen aufbringen könnte, ohne eine Heuchlerin zu sein. Die stärkste Erinnerung ist wohl die, dass da überall an den Wänden gerahmte Gedichte von Christian Morgenstern herumhingen, kleine schwarze Texte vor zu viel weissgebleichtem Papier, und ich bin rumgegangen und habe die alle gelesen. Ich habe Christian Morgenstern nie kennengelernt, aber seine Gedichte reichen völlig aus, um ihn stärker zu hassen, als ich je einen lebenden Menschen werde hassen können. 'Ich mag Christian Morgenstern nicht', sage ich also. 'Mehr als das, ich hasse ihn, und ganz besonders hasse ich seine Gedichte. Mir wird schlecht, wenn ich noch eins hören muss.' Quentin grinst. 'Es sass ein Wiesel...' 'Hör auf!' Ich schreie fast. Quentin wendet sein Gesicht ab, wahrscheinlich, weil er nicht will, dass ich ihn lachen sehe. Mit dem Handrücken wischt er sich das Lachen aus der unteren Gesichtshälfte und fragt mich dann, warum ich Christian Morgenstern denn nicht mag. 'Der ist doch lustig'.
'Nein', sage ich. 'Nein, ist er nicht. Er ist nicht lustig. Er ist kein bisschen lustig.'
'Vielleicht nicht.' Quentin wirft die halbgerauchte Zigarette auf den Asphalt und zertritt sie mit der Spitze seines Schuhs. 'Grässliche Schuhe', sagt er. 'Die gehören meinem Vater. Meine habe ich verloren.'
'Wo? An der Party?'
'Ich weiss nicht. Ich denke schon. Ich sollte weniger trinken, glaube ich.'
'Vielleicht. Ja.'
'Hm.' Quentin schweigt ein bisschen, als denke er an etwas Wichtiges. Er hebt die Arme, verschränkt sie hinter dem Kopf wie bei einer Dehnübung, lässt sie wieder fallen und vergräbt die Hände in den Jackentaschen. 'Ich würde gerne auf diese Parkbank sitzen und den Vögeln zuhören', sage ich, als er nichts mehr sagt, und zeige auf die Parkbank am Weg, hinter der der Wald beginnt. 'Ich auch', sagt Quentin, geht hin und wischt mit dem Ärmel seiner Jacke ein paar Ameisen von der Bank.
'Müssen wir nicht zu Aila?'
'Die vermissen uns doch sowieso nicht dort.'
'Du hast auf dem Tisch getanzt', sage ich, weil mir das gerade eingefallen ist und beginne bei der Erinnerung zu lachen. 'Zu was für einem Lied? Riff Raff?'
'Hardest Button to Button', sagt Quentin und nimmt sein Gesicht in beide Hände. 'Ich glaube, es war schrecklich. War es schrecklich?'
'Nein, es war nett. Es war wirklich nett. Una wäre fast gestorben vor Eifersucht.'
'Das habe ich noch mitbekommen', sagt Quentin und lacht ein wenig spöttisch, bevor er wieder leise wird. 'Das ist die letzte gute Erinnerung an diesen Abend', sagt er irgendwann. 'Die allerletzte. Wie der Tisch unter mir sich bewegt, wie Una sich bemüht, anderswo hinzusehen, wie du vor der Musikanlage am Boden sitzt und auf deinen IPod starrst.'
'Meine auch. Danach ist, glaube ich, nichts Gutes mehr passiert. An der ganzen Party.'
'Wir hätten nach Hause gehen sollen. Bevor sie das Lied umgeschaltet haben.' Quentin zündet sich eine nächste Zigarette an und verzieht das Gesicht. 'Das sind die widerlichsten Zigaretten, die ich je geraucht habe.' Seine Stimme ist rau vor Rauch. 'Klick-Zigaretten.' Er fuchtelt mit der Schachtel vor meinem Gesicht herum, als helfe mir das den Unterschied zwischen Klick- und richtigen Zigaretten zu verstehen.
'Wirf sie doch fort.'
'Hast du mit dem Papagei geschlafen?' Die Frage klingt seltsam, als Quentin sie stellt, und ich lache ihn aus. Er lehnt sich zurück, bis sein Rücken das Holz der Parkbanklehne berührt, dreht den Kopf in meine Richtung und bläst mir Rauch ins Gesicht. 'Hör auf damit', sage ich. 'Das ist fast so widerlich wie die Vorstellung, mit dem Papagei zu schlafen.' Quentin grinst ein bisschen und raucht selbstgefällig und schweigend seine Zigarette.
Wir sitzen noch eine Weile nebeneinander und hören den Vögeln zu, die hinter uns im Wald schreien, dem Wasser, das in den Brunnen plätschert. Als wir aufstehen, lässt Quentin die Zigaretten auf der Parkbank liegen. Das Feuerzeug auch.

Mittwoch, 13. November 2013

Aila: Gäste


Aila     Gestern, auf der Party, habe ich noch mit Häschen geredet.
Una     Der war noch ziemlich da, oder?
Aila     Ja, höchstens ein bisschen angetrunken.
Una     Heute morgen bin ich ihm begegnet. Am Fluss.
Aila     Du warst am Fluss?
Una    Ja. Ausnüchtern. Es war ganz schön, er hatte Heidelbeeren dabei.

Es klingelte an der Türe. Ich achtete für eine Weile nicht darauf, räumte nur die Kakaotassen ab und stellte sie in die Spüle.

Una     Du solltest wohl mal aufmachen.
Aila     Ja.
Una     Häschen hat mich geküsst, heute Morgen, meine ich. Am Fluss. Es war merkwürdig, hat gar nicht reingepasst.
Aila     Ja.
Una     Verstehst du, was ich meine? Ich mein, der Fluss war so schön träge und braun und mein Kopf tat weh und meine Lippen waren trocken, und da hat er mich einfach geküsst. Ich meine, Häschen, das hätte ich nicht von ihm gedacht.
Aila     Ich geh die Tür aufmachen.

Aila: Spielzeug


Um fünf läutet es an der Türe. Es ist Una. Sie sagt, alles Gute. Sie umarmt mich, sie drückt mich fest, es tut ein bisschen weh. Sie sagt, es tut mir leid, ich konnte dich gestern Abend nicht mehr finden, ich weiss nicht, ich habe dich überall gesucht. Ich sage, schon gut.

Una und ich trinken Kakao. Wir trinken immer Kakao, wenn wir zu zweit sind. Wenn wir mehr als wir zwei sind, trinken wir Bier. Das war irgendwie schon immer so.
Una fragt, wie wars bei dir gestern?

Aila     Ganz gut. Bei dir?
Una    Ja, war ne gute Party. Ich fands schön, dass wir in den Fluss gesprungen sind.
Aila     Lief da was zwischen dir und Adorno?
Una    Nein. War einfach ein schöner Moment.
Aila     Es ist seltsam, achtzehn zu sein.
Una    Ist ja nur eine Zahl.
Aila     Ich könnte mir jetzt Whiskey kaufen und ihn über das Bild kippen, das ich von dir gemalt habe.
Una    Darf ich das endlich mal sehen?
Aila     Lieber nicht. Früher hatte ich so eine Tafel. So eine aus Plastik, wo man draufschreiben oder -zeichnen kann mit einem auf der Seite an einer Schnur befestigten Stift. Mit einem Schieber konnte man das Gezeichnete wieder wegwischen. Irgendwie gefällt mir das besser als die Leinwand.
Una    Du bist süss, Aila.
Aila     Hattest du auch so ein Lieblingsspielzeug?
Una    Ich habe nur mit Holzsachen gespielt. Mein Vater hat die immer selbst geschnitzt, in seiner Werktstatt.

Ich glaube, als Kind hätten Una und ich uns nicht gemocht. Auf Partys mag ich Una immer noch nicht, weil ich sie ständig verliere, und weil ich mich nur auf den Balkonen wirklich wohlfühle, und das auch nur, wenn die Leute gerade alle drinnen sind, weil die White Stripes oder so laufen. Vielleicht ist das so, weil ich Una als Kind auch nicht gemocht hätte. Das würde heissen, auf Partys sind wir wie die Kinder, die wir mal waren.

Dienstag, 12. November 2013

Adorno: Halbschlaf


Una und Aila und ich sind gestern in den Fluss gesprungen, als es Nacht war und der Fluss nach ein paar Bier nicht mehr so schlimm und eklig aussah wie tagsüber. Ich weiss noch dass es irgendwie wehtat, wahrscheinlich bin ich schräg gesprungen oder so, und dass Una plötzlich nah war und Aila weg, und das war gut so, denn so konnte ich meine Hand eine Zeit lang auf Unas Hüfte lassen, eine schöne Hüfte. Später sind wir zurückgegangen, mir war etwas übel und es hat geregnet. Una sagte, ich solle besser schlafen gehen und mir was anziehen, sonst würde ich noch krank. Das war das Netteste, was jemand an diesem Abend zu mir gesagt hat.

Alle finden ja Una toll, und Una ist ja auch so eine ganz typische Heuchlerin, aber ich komme nicht umhin zu sagen dass Unas Augenbrauen, die so fein über ihren Wimpern liegen ihre Stimme, was sie sagt, dass ich sie von allen am meisten mag. Una habe ich über ihre Brüder kennen gelernt. Ich war mit ihren Brüdern auf einem Metal-Konzert, ich war damals oft mit ihnen unterwegs, das war gleich nach der Bezirksschule, sie waren nett zu mir. Ihre Brüder haben sie zu diesem Konzert mitgenommen. Una war da sehr betrunken und wir haben ein wenig geredet und noch mehr getrunken und nachher habe ich sie nach Hause gebracht, weil ihre Brüder mich mochten und mir vertrauten und weil sie noch länger bleiben wollten. Ich wollte mit Una schlafen, aber sie sagte, ich solle nach Hause gehen. Am nächsten Tag wusste sie nur noch, dass ich sie begleitet habe, und den Rest nicht mehr. Seither schreibt sie mir und ich gehe mit ihr und den anderen mit. Es ist nie die Gruppe, es sind immer Una und die anderen. Und wenn jemand Neues kommt, ist das wegen Una. Sie sagen dann: Ich gehe heute mit, mit Una und so.

Ich muss wieder eingeschlafen sein, ich weiss nicht wie lange, doch nach einer Weile vibriert mein Handy wieder. Es ist Una. Ich stelle das Bier im Gras ab, es kippt um und läuft Richtung Fluss davon. Der Papagei merkt es nicht, er ist auch eingeschlafen.
Aila hat Geburtstag.Willst du auch bei ihr vorbeischauen, so um acht?, hat sie geschrieben.

Ich lade den Papagei auch ein, ohne nachzudenken. Ich schaue auf meine Uhr. Es ist schon Nachmittag. An keinem Tag vergeht die Zeit so sehr ohne eigenes Zutun wie am Tag nach der Party. Ich gehe nach Hause. Der Papagei bleibt.

Montag, 11. November 2013

Quentin: Schuhsuche


Die Sonne ist höher gestiegen, die immergrünen Rhododendronbüsche vor J's Haus leuchten jetzt stärker, weiss und rosa glühen die Blüten im Licht, hochgezüchtet, nutzlos und so giftig, dass zwei Handvoll Blätter einen umbringen können. Verlangsamung der Pulsfrequenz, Tod durch Herzversagen. Oder war es Atemstillstand? Keine Ahnung. Vielleicht meine ich auch Buchsbüsche. Aus den sauberen weissen Häusern, die die Strasse zieren, quillt der Geruch nach warmem Essen, die verschiedenen Düfte der verschiedenen Mahlzeiten in den verschiedenen Häusern überlagern sich, werden zu einem, ein Eintopf aus Fisch und Fleisch und Tomatensauce und Salzkartoffeln und Mais und Reis und Auberginen und Polenta und Gnocci und Tiefkühlpizza und schwarzen Karotten. Die ganze Strasse, das ganze Quartier muss beim Mittagessen sein, obwohl es schon nach zwölf ist. Einiges nach zwölf. Ich stehe immer noch vor den Büschen vor Js Haus. Ich könnte das Gartentor aufstossen, hineinspazieren, anklopfen und nach meinen Schuhen fragen, aber irgendwie will ich nicht mehr. Ich mag nicht ins Mittagessen platzen, und ich mag nicht mit J allein sprechen, ich weiss nicht, was ich zu ihm sagen soll, ausser 'Hast du meine Schuhe gesehen?', und irgendwie kommt mir der Satz, jetzt, da ich ihn so vor mich hin sage, ein wenig bescheuert vor, also drehe ich wieder um und schlendere durch die nach giftigen Büschen und Essen riechende Strasse zurück an die nächste Bushaltestelle. Noch bevor der Bus einfährt, vibriert mein Handy ganz unten in der Hosentasche, eine SMS von Una: 'Aila hat Geburtstag. Heute Abend bei ihr.' Keine Einladung, ein Befehl. Una mag mich nicht, ich weiss gar nicht, warum sie mich immer einlädt, ich glaube, sie hat Angst, dass meine Abwesenheit stärker auffallen könnte als ihre Anwesenheit. Bescheuert, aber so ist sie, gerne wäre sie Königin und hätte einen Hofstaat voller Lakaien. Aber dafür ist sie zu dumm. Aila hat heute Geburtstag, das wusste ich gar nicht. Weshalb sie wohl gestern nichts gesagt hat? Ich weiss nicht, ob der Gedanke an Party mir gefällt, vielleicht ja, aber trotzdem, ohne Tonna geh ich da nicht hin.