Tonna

Model: Gianna Ferrari
Alter: 18

Musik: The Doors - Unhappy Girl

Wie viel Bier: 5

Erstes Mal: Tonna war 16, und er war ihr Freund.



Aufwachen
Der Himmel ist blau, weissblau, papierblau wie ein Tropfen Tinte in einem Glas Milch. Das Licht fliesst wie Wasser ins Zimmer, berührt die graugemusterten Vorhänge, verfängt sich in den Falten, legt sich auf den Boden und kriecht langsam über den Teppich auf die Wand zu. Die ersten Farben mischen sich ins Grau und ins Schwarz und ins Braun der Nacht, sanft, als kratze man mit einem Schaber die oberste, noch feuchte Schicht eines frischübermalten Ölgemäldes fort und dahinter kämen die alterhaltenen Farben zart und hell zum Vorschein. Der Papagei liegt auf einer Matratze neben meinem Bett und gurgelt seltsame Geräusche im Schlaf. 'Hey', sage ich und stupse mit meiner Hand gegen die Matratze, aber dann frage ich mich, warum ich ihn überhaupt wecken will. Vorsichtig, vorsichtig stehe ich auf, steige über sein Gesicht und das Knäuel, das sein Körper unter der Bettdecke bildet, und kippe das Fenster nach innen. Die Luft, die von draussen hereinkommt, ist warm und weich. Ich gehe wieder an der Matratze vorbei und mache die Tür auf, gehe hindurch und schliesse sie lautlos wieder hinter mir, mit dem Klicken, das Metall macht, wenn es gegen Metall schlägt, rastet die Tür ins Schloss. Im Zimmer lag ein unangenehmer Geruch, der mir erst jetzt auffällt, wo ich nicht mehr diese Luft atmen muss. Nach dem Papagei roch sie und kaltem Zigarettenrauch. Ich gehe in die Küche und mache mir ein Müsli mit Cornflakes und Bananen und setze mich an den Tisch. Es ist noch niemand wach, still liegt das Haus da, das Zwitschern der Vögel dringt nicht durch die dicken Wände, und die Cornflakes in der Schüssel schwappen hin und her. Ich überlege mir, was ich sagen soll, wenn meine Eltern fragen, was das für ein Junge in meinem Zimmer ist und warum er hier schläft. Sie werden denken, ich hätte etwas mit ihm gehabt. Sie werden denken, er wäre mein neuer Freund. Sie werden es sich vorstellen, wie er sich mit mir auf mein Bett fallen lässt und seine Hand über meinen Bauch hinunter bis zwischen meine Beine fährt. Beim Gedanken daran wird mir leicht schlecht. Jedes Mal, wenn Quentin hier übernachtet, macht mein Vater am nächsten Morgen seltsam verklemmte Witze und meine Mutter fragt ihn, wann er denn mit dem Rauchen aufhören will. Meine Mutter hat eine Liste mit bevorzugten Verlobten für mich. Quentin war einmal an erster Stelle, aber dann hat sie herausgefunden, dass er raucht, und da ist er um zwei Plätze nach hinten gerutscht. Und dass er sich einmal über Frauen in Absatzschuhen und kurzen Kleidern lustig gemacht hat, fand sie gar nicht gut, sie hofft noch immer, ich könnte eines dieser Zwitschermädchen werden, die rosa Handtaschen tragen und sich die Augenlider schminken und dann in zu laute Clubs gehen und sich von Männern wie dem Papagei überteuerte Drinks bezahlen lassen, die sie aus langen Strohhalmen saugen, und dass Quentin das anders sah, ärgerte sie. Als ich Quentin von der Liste erzählt habe, hat er gelacht. Und dann war er auf einmal still, und ich wusste, was er gerade dachte: Wenn ich mich einmal verloben würde, dann würde es zwischen uns nicht mehr so sein wie jetzt. Nicht aus Eifersucht, ich würde schon aus Prinzip niemanden von der Liste meiner Mutter nehmen, aber irgendetwas würde ausklingen, die Luft zwischen uns würde dünner werden und aufhören zu vibrieren und wir würden uns seltener sehen und uns über Dinge unterhalten, die uns nichts bedeuten, und irgendwann würde Quentin den Kopf wegdrehen und sagen: Das ist doch banal. Und das wäre es dann auch, wir wären banal, und hätten es nicht einmal bemerkt.


 



Identität einer Hirschkuh
Wenn meine Mutter nach dem Papagei fragt, werde ich sagen, der Papagei. Ein Junge, den ich kenne. Ach, niemand besonderes. Einer von einer Party. Keine grosse. J. Ja, das ist sein Name, J. So hiess der Junge, der die Party veranstaltete. J. Der Papagei. Und wenn sie seltsame Namen haben, aber das sind nicht meine Freunde. Jedenfalls nicht der Papagei. Weiss ich doch nicht, warum der in meinem Zimmer schläft. Er kam nicht mehr nach Hause. Hat sich eingeladen. Was sollte ich denn sagen? Ich kann ihn doch nicht auf der Strasse schlafen lassen.
Konnte ich das denn nicht? Ich hätte es tun sollen. Ich kann ihn so wenig leiden, den Papagei.

Der Papagei, der so laut ist und so schrill. Dem ich nicht zuhören mag, wenn er Geschichten erzählt. Weil ich seine Stimme nicht mag und auch, weil seine Geschichten immer auf Kosten anderer gehen. Der, als er jünger war, vielleicht zu viel ferngesehen hat mit seinen soviel älteren Brüdern, zu viel MTV, zu viel VIVA, zu viele nachgestellte Realityserien mit einem Mann, der sich aus fünfzig Frauen die richtige aussucht, obwohl er nicht einmal nett ist, nicht einmal hübsch, nur reich und mit grellen Klamotten, und es gibt Staffel eins, zwei und drei davon, weil wenn es beim ersten Mal so gut geklappt hat, warum nicht noch eine Runde. Er hat so eine blöde Art, sich selbst in den Mittelpunkt zu drängen, sich zu inszenieren, wie Quentin manchmal, laut lachen und andere in Nebensätzen demütigen, das können sie beide gut. Der Papagei, der, weil er selbst so einen bescheuerten Tiernamen hat, allen anderen auch bescheuerte Tiernamen geben will. Hirschkuh hat er mich genannt. Dabei bin ich keine Hirschkuh, ich bin ein Nilpferd, ein grosses, dickes, schweres Nilpferd, das sich im Schlamm am Flussufer wälzt und rote, gelbe und grüne Papageien von seinem Rücken pflückt und frisst und dann die Federn ins Wasser ausspuckt und sie schwimmen obenauf und treiben fort in der Strömung vom Fluss.




Papageienlärm
Ich höre den Papagei erwachen. Ich höre ihn durch die Decke, durch das Holz, in meinem Zimmer, wie er sich im Bett auf die Seite dreht, sich aufsetzt, der Schlafsack knistert, als er ihn zusammenknüllt und gegen das Matratzenende wirft. Ich höre ihn aufstehen, ein wenig unbeholfen, zittrig noch, mit jedem Schritt, den er nehmen muss, um seine Kleidungsstücke einzusammeln, gewinnt er an Sicherheit. Angezogen stellt er sich vor den Spiegel, streckt die Hand nach meinem Deo aus und zieht sie sofort wieder zurück, erschrocken über sich selbst, denn es ist zwar ein Männerdeo, aber dasselbe Deo zu tragen wie eine Frau, so zu riechen wie eine Frau, so zu riechen wie ich, ist für den Papagei mehr als peinlich, es ist beschämend, beleidigend, ein Verrat an ihm und seinem guten Stil. Mit zwei Fingern der linken Hand streicht er die Haare auf den Seiten glatt und strubbelt die oben auf der Kopffläche auf, drückt die beiden Schneidezähne in seinem Mund zusammen, sodass die kleine Lücke zwischen ihnen verschwindet, die immer in der Nacht wieder aufgeht und durch die man, so glaubt er, in seinen Mundraum hineinsehen kann. Er nimmt seinen Kopf in beide Hände, indem er die Fingerkuppen an bestimmte Punkte im Gesicht setzt und die Finger dann auseinander spreizt, sodass seine Züge sich dehnen und strecken und hauttransplantationsartig und grotesk verzerren. Der Papagei zählt bis zwanzig, wartet kurz und zählt noch einmal bis fünfzehn, bevor er die Spannung gehen lässt und die Gesichtshaut an ihren Platz zurück schwappen darf. Er grinst sich im Spiegel zu, ignoriert den ungesunden Blauton um die Augen herum, der vom Alkohol oder dem Schlafmangel herrühren könnte und verlässt mein Zimmer, mit polternden Schritten schwingt er sich die Treppe hinunter. Er ruft nicht nach mir, ich höre ihn im Hauseingang die Schuhe anziehen und sich die Jacke über die Schulter hängen, und dann geht die Tür auf und mit Elan wieder zu und er ist fort, und die Stimmung im Haus verändert sich, ausgehend von mir, als wäre ich mit seinem Abgang einen physischen Schmerz losgeworden, eine Druckstelle, das Wissen, dass er im Haus ist und mit mir sprechen könnte, würde er es denn wollen.
 



Menschen mit Hüten
Ich laufe auf einem Weg zwischen Bäumen, im Wald, durch das Blätterdach tropft schräg die Sonne, der Waldboden mit den fleckenartigen Lichttupfen hat das Aussehen eines zu gross geratenen, durcheinander geschüttelten Schachfeldes. Durch den Mergel auf dem Kiesweg quellen die Pflanzen, Gras wächst von beiden Seiten auf die Mitte zu, nur auf einem zweihandbreiten Streifen sieht man noch ein Stückchen Weg. Auf diesem Stückchen Weg renne ich, unter Bäumen, unter Ästen, unter Rinde und Blättern und kreischenden Vögeln hindurch.

Ein verschwitzter Jogger in gelbem ärmellosen Shirt kommt mir entgegen, ein Mann mit Walkingstöcken, eine Dame mit Dalmatiner und Hut. Menschen mit Hüten sehen immer ein wenig seltsam aus, ein bisschen antik, als wären sie aus Modezeitschriften aus dem vergangenen Jahrhundert hinaus spaziert und könnten den Rückweg nicht mehr finden. 
 



Häschen hatte einen Hut an, gestern. Nicht von Anfang an, er hatte den irgendwo gefunden, in der Garderobe oder im Kleiderschrank von Js Vater. Er sah damit nicht gut aus, obwohl er das wahrscheinlich dachte. Ich hätte ihm gerne gesagt, er solle ihn doch ausziehen, aber es kam mir irgendwie nicht richtig vor, weil er so nett zu mir war. Quentin hätte es ihm gesagt. Aber Quentin ist manchmal auch ein Arschloch. Vor allem, wenn er getrunken hat. Als ich gestern irgendwann in der Nacht mit ihm in diesem Zimmer war, gegen Ende der Party, bevor Häschen seinen Hut anzog und bevor der Papagei sich auf mich stürzte, und ich Quentin erzählte, wie einsam ich sei, da ist er nur dagesessen und hat in die Dunkelheit geatmet. Obwohl wir allein waren und obwohl er hören musste, dass ich weinte. Er hätte mir helfen können. Er hätte mich trösten können. Er hätte mich umarmen können, mir einen Witz erzählen, irgendetwas. Aber er sass nur da und war still, als wäre er vor Langeweile eingeschlafen, und da bin ich aufgestanden und aus dem kleinen Gästezimmer hinunter in das Wohnzimmer gegangen und habe die Bilder an den Wänden angestarrt, kubistische Malereien und aufgehängte Gedichte von Christian Morgenstern. 
 



Irgendwann, als ich die blöden Gedichte schon auswendig konnte, bin ich in das Nebenzimmer rein, da lag Häschen auf dem weissen Bett, als würde er schlafen. Er setzte sich auf, als ich eintrat, und fragte mich, warum ich denn so scheisse aussähe. Das hat er wirklich so gesagt, Tonna, warum siehst du denn so scheisse aus. Häschen kennt da nichts. Da habe ich wieder zu weinen begonnen und er hat meinen Arm gepackt und ist mit mir auf den Balkon gegangen, da sassen wir und haben geredet, bis Häschen keinen Gin mehr hatte und ich nach Hause wollte und den Papagei vor der Tür treffen durfte. Ich war so verzweifelt, als sich der Papagei bei mir einhängte, und ich wollte Quentin noch eine Chance geben, mir zu helfen, und ich wusste auch nicht, wen ich denn sonst um Hilfe bitten sollte, also habe ich ihm geschrieben, weil er irgendwie nirgends mehr zu sehen war, er solle doch kommen und mich vor dem Papagei retten. Aber er hat nicht zurückgeschrieben, wahrscheinlich war es ihm egal. Also habe ich den Papagei mitgenommen. Einen Augenblick lang habe ich mir sogar überlegt, ob ich nicht mit ihm schlafen sollte, aber das war mir dann doch zu widerlich, das hätte ich nicht ertragen können. Und ausserdem hätte es Quentin sowieso nicht gekümmert, er hätte nur eine Augenbraue hochgezogen und gesagt: Ach. Oder mich ausgelacht, eher.

Eine durch und durch absurde Idee, also.



Topfpflanze
Ich sitze in meinem Zimmer und trinke Mineralwasser aus einem Weinglas mit abgebrochenem Boden. Das Zimmer riecht noch nach dem Papagei, obwohl ich das Fenster schon geöffnet habe, bevor ich Joggen ging. Ich schliesse die Augen, atme die Luft und erschrecke über den überraschend heftigen Hass gegen den Papagei, den die Spuren seiner Anwesenheit in mir auslösen. Ich kenne ihn nicht einmal richtig. Ich bin ungerecht. Er kann nichts dafür, wer er ist. Ich glaube, wenn ich ehrlich bin, dann hasse ich ihn gar nicht so sehr. Ich bin wütend auf Quentin, weil er mich weinen liess und weil er mich nicht angerufen hat, gestern nicht und auch heute nicht.

Aber Quentin zu hassen funktioniert auch nicht, weil wenn ich Quentin nicht mag, dann mag ich niemanden mehr. Ich würde gerne etwas umarmen, aber ich finde nichts zum Umarmen ausser der blöden Topfpflanze, die meine Mutter mir ins Zimmer gestellt hat, also nehme ich die auf meinen Schoss und halte sie fest, aber viel Liebe gibt sie mir auch nicht zurück.




Gestern Nacht
Gestern Nacht, als ich mit dem Papagei nach Hause ging, liefen wir durch die Unterführung nahe am Fluss. Die eine Laterne war ausgegangen, und die andere Glühbirne von Spinnweben eingehüllt, Spinnweben, die erzitterten, wenn ihre Bewohnerinnen mit ihren Opfern kämpften. Metergross warf die Glühbirne die zuckenden Schatten der Spinnen auf den Boden. Die Wand darunter war grau, ein schmutziges, helles Grau, das Grau von plattgedrückten Kaugummis und frischgereinigten Mauern.

'Sie haben die Graffitis weggemacht', sagte ich zum Papagei. 'Nicht übermalt, mit dem Hochdruckreiniger. Sie sind alle weg. Da, siehst du? Nur in den Rillen klebt noch die Farbe.' Ich strich mit dem Finger über Rillen, hoffte, die Farbe würde an meiner Haut kleben bleiben, aber das war lächerlich und ich hörte schnell wieder damit auf. 'Ich hab früher auch Graffitis gemalt, als ich sechzehn war. Graffitiking nannten sie mich. Nicht nur meine Freunde, das ganze Dorf. Die Bullen haben mir immer aufgelauert, um mich zu erwischen. Habens aber nie geschafft. Nur einmal, einmal...' Der Papagei schien ausnahmsweise zu bemerken, dass ihm niemand zuhörte, oder er wusste nicht, wie seine Geschichte weiterging, er hörte auf zu sprechen und begann, mich anzustarren.

Ich konnte seinen Blick in Nacken fühlen, aber ich beachtete ihn immer noch nicht. 'Ich hätte nie gedacht, dass sie diese Wand je sauber machen würden. Wie viele Menschen haben sie beschrieben? Wie viele Zeichnungen, Verewigungen waren hier? Wie viele Sätze sind verschwunden, verloren gegangen durch fünf Minuten mit dem Hochdruckreiniger?', fragte ich, obwohl ich wusste, dass der Papagei als allerletzter eine Antwort darauf hatte.

'Keine Ahnung. Können wir jetzt gehen? Mir ist kalt.' Demonstrativ zog er die Schultern hoch bis in den Nacken.

'Mein Name stand mal hier', sagte ich. 'Meiner und acht andere. Benjamin. Raffael. David. Céline. Sandra. Gabriele. Marco. Miriam. Und meiner. Ungefähr hier.' Ich malte mit meinem Finger einen kleinen Kreis um die Stelle, wo die Namen gestanden hatten. 'Nicht als Graffiti. Mit Filzstift. Mit schwarzem Filzstift.'

'Weshalb hast du deinen Namen auf die Wand geschrieben?', fragte der Papagei.

'Nicht ich. Ich hatte eine Freundin, Ricarda, sie hat das gemacht.'

'Mh. Ich hatte mal was mit einer Ricarda. Vor etwa zwei Monaten. In einem Club. Fünf Männer standen um sie herum, wollten mit ihr tanzen, und dann bin ich hingegangen, gar nichts musste ich sagen, nur meinen Blick machen, du weisst ja, diesen Blick', der Papagei legte den Kopf ein wenig schief und starrte mich mit halbgeöffnetem Mund durch seltsam zusammengekniffene Augen an- 'dem kann keine Frau widerstehen. Und auch kein Mann. Jedenfalls bin ich zu ihr hin, hab den Blick gemacht, sie sofort weg von den fünf Männern, zu mir hin. Getanzt haben wir. Was dann noch alles passiert ist, du willst es gar nicht wissen.' Der Papagei wartete einige Sekunden, um mir Zeit zu geben, ihn zu fragen, was dann noch alles passiert war, aber ich wollte es wirklich nicht wissen. 'Nun ja, vielleicht war es ja dieselbe Ricarda', sagte der Papagei schliesslich ein wenig enttäuscht, weil ich ihn nicht fragen wollte, was er alles mit dieser Ricarda gemacht hatte.

'Ich glaube nicht.'

'Vielleicht doch', insistierte er. 'Braunes Haar hatte sie.'

'Ricarda war blond.' 'Vielleicht hat sie es ja gefärbt.' 'Ich glaube nicht.' 'Warum nicht? Soll es geben. Ich habe mein Haar auch schon gefärbt. Mehrmals.' 'Ich glaube trotzdem nicht.' 'Warum nicht? Könnte doch sein.'

'Nein', sagte ich. 'Nein, es kann nicht sein. Sie lebt nicht mehr hier.'

'Wo lebt sie dann?', fragte der Papagei. Ich atmete ein wenig ein und aus, die Nachtluft war tatsächlich kalt geworden, biss in meiner Lunge, aber vielleicht war das auch nur der Rauch von der widerlichen Zigarette, die der Papagei neben mir im Stehen rauchte.

'Sie lebt überhaupt nicht mehr', sagte ich dann. 'Sie ist in den Fluss gefallen.'

'Oh.' Der Papagei schwieg einen Moment, hob dann die Stimme eine halbe Oktave höher als üblich und fragte: 'Gefallen?'

'Nein, nicht gefallen', sagte ich. 'Gesprungen. Man fällt nicht einfach so in den Fluss, wenn es Winter ist und schneit und man Kleider anhat, die sich mit fünf Grad kaltem Wasser vollsaugen werden und einen nach unten ziehen, noch bevor man Zeit hat, ein letztes Mal Luft zu holen.'

'Nein', gab mir der Papagei recht, 'nein, das tut man wirklich nicht.'

 


Doors
Ich sitze in meinem Zimmer, in dem blauen, viel zu prall gefüllten Sitzsack, den mir mein Cousin vor Jahren zum Geburtstag geschenkt hat. Ich habe mein Handy ausgeschaltet und mir mein Lieblingsbuch genommen und lese nun die Stelle, in welcher Atréju auf die Uralte Morla trifft, nur diese, wieder und wieder.

Mein Vater unten im Wohnzimmer hört Musik, mit dem Plattenspieler, glaube ich. Das höre ich daran, dass es immer nach ein paar Liedern eine Pause gibt, in der er die Platte wechselt oder umdreht. Er hört alte Lieder von den Doors. Irgendwann spielt der Plattenspieler Unhappy Girl. Das ist mein Lieblingslied. Aber ich glaube nicht, dass mein Vater das weiss. Ich glaube nicht einmal, dass er weiss, dass ich die Doors kenne. Mein Vater weiss nicht so viel von mir.

Einmal waren wir in Paris, mit der Schule, da gingen wir auf den Friedhof, dorthin wo der Grabstein von Jim Morrison steht. Da stand ein Mann, fünfzig vielleicht, sechzig, der mit seinem Handy Doors abspielte und auf Jim Morrisons Grabstein starrte und weinte, und ich dachte, es gibt nichts Traurigeres auf der ganzen Welt als ein Mann, der über den Tod eines Fremden weint, als hätte er ihn gekannt.